Programmiererin, Fachinformatikerin oder IT-System-Elektronikerin – weibliche Berufsbezeichnungen sind in der Tech-Branche noch immer die Ausnahme. Denn unter IT-Fachkräften in IT- und Telekommunikationsunternehmen ist nur jede zwanzigste (5 Prozent) eine Frau. Der Frauenanteil der Belegschaft in der ITK-Branche insgesamt liegt 2023 mit durchschnittlich 15 Prozent in etwa auf Vorjahresniveau (14 Prozent). Dabei sind die großen Unternehmen ab 500 Beschäftigten etwas weiter. Während bei ihnen im Durchschnitt jede vierte Position (26 Prozent) mit einer Frau besetzt ist, liegt der Anteil in mittleren Unternehmen (50 bis 499 Beschäftigte) bei 16 Prozent und in kleinen Unternehmen mit 10 bis 49 Beschäftigten bei nur 14 Prozent. In jedem fünften kleinen Unternehmen (20 Prozent) findet sich sogar keine einzige Frau in der Belegschaft. Das sind Ergebnisse einer Befragung des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 500 ITK-Unternehmen repräsentativ befragt wurden.
Anteil weiblicher IT-Azubis steigt mit Unternehmensgröße
Der geringe Frauenanteil liegt auch daran, dass sich noch immer deutlich mehr Jungen als Mädchen nach der Schule für eine Ausbildung oder ein Studium im Bereich der IT entscheiden. Auch deshalb gibt es seit Jahren den Girls‘ Day, der in diesem Jahr am 27. April stattfindet, und Kindern und Jugendlichen eine Berufsorientierung frei von Rollenbildern ermöglichen soll. Bisher ist in der ITK im Durchschnitt nur eine von 20 Auszubildendenstellen (5 Prozent) im IT-Bereich mit einer Frau besetzt. Während der Frauenanteil in Großunternehmen bei 8 Prozent liegt, sind es in mittleren Unternehmen 7 Prozent und in kleinen Unternehmen nur 4 Prozent.
„Es ist völlig klar: die ITK-Unternehmen brauchen mehr Mädchen und Frauen“, sagt Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung. „Die Branche hat auch erkannt: Mehr Frauen in der Digitalisierung – das bedeutet auch mehr digitale Teilhabe, mehr technologische Innovation und mehr wirtschaftlicher Erfolg. Bei der Umsetzung dieser Erkenntnis geht es allerdings weiterhin nur langsam voran. Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren.“
Um das Bewusstsein für Frauen in der Digitalbranche zu steigern und konkrete Maßnahmen zur Förderung weiblicher Fach- und Führungskräfte zu ergreifen, wurde 2020 zum Digital-Gipfel der Bundesregierung das interdisziplinäre Bündnis #SheTransformsIT gegründet. „Wir müssen bei Mädchen bereits im Kindesalter Neugierde an Digitalisierung wecken und ihnen frühzeitig Kompetenzen für die digitale Zukunft vermitteln. Dafür braucht es einen klischeefreien Unterricht, der dafür sorgt, dass alle Kinder gleichermaßen mit IT-Themen in Berührung kommen. Um Stereotype in der Berufsorientierung abzubauen, müssen wir zudem weibliche Rolemodels sichtbarer machen“, sagt Nadine Schön, Mitglied im Steuerungskreis #SheTransforms IT und stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Der digitale Wandel braucht Frauen ebenso wie Männer. Notwendig ist jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.“
ITK-Unternehmen wissen, dass sie den Frauenanteil erhöhen müssen
Dabei wünschen sich die ITK-Unternehmen mehr Frauen in ihrer Belegschaft. 92 Prozent sagen, gemischte Teams tragen zu einem besseren Betriebsklima bei, und drei Viertel (75 Prozent) sind überzeugt, dass der Frauenanteil die Produktivität und Kreativität erhöht. 86 Prozent sehen eine Erhöhung des Frauenanteils in Ihrem Unternehmen ganz grundsätzlich als Chance. Mehr noch: Eine deutliche Mehrheit sieht ohne eine Erhöhung des Frauenanteils sogar die Wettbewerbsfähigkeit der Digitalbranche in Gefahr: Drei von vier ITK-Unternehmen (74 Prozent) sagen, ohne Frauen verspielt die Branche ihre Zukunft. 59 Prozent sind überzeugt, dass die ITK-Branche das Fachkräfteproblem ohne Frauen nicht lösen wird.
Jedes dritte Unternehmen hat bereits Ziele zur Erhöhung von Frauenanteilen verankert
Der Wille, mehr Frauen und Mädchen für die Digitalbranche zu gewinnen, äußert sich unter anderem in konkreten internen Zielsetzungen. 2023 hat schon knapp jedes dritte Unternehmen (31 Prozent) Ziele zur Erhöhung von Frauenanteilen verankert. 19 Prozent planen dies konkret, 24 Prozent diskutieren es. Allerdings sagen auch 22 Prozent, dass solche internen Zielsetzungen für sie kein Thema sind. Wer sich keine Ziele steckt, begründet die Zurückhaltung vor allem mit dem Fehlen qualifizierter Bewerberinnen (72 Prozent) sowie anderen Prioritäten (36 Prozent) im Unternehmen. Schlicht keinen Handlungsbedarf sehen hingegen nur 8 Prozent. „Die Vergangenheit hat gezeigt: Ohne konkrete Ziele wird es schwer, den Frauenanteil tatsächlich signifikant zu steigern. Auch wenn die letzten Jahre mit multiplen Krisen die Unternehmen vor eine Vielzahl verschiedener Herausforderungen gestellt haben: Jedes Unternehmen sollte sich überlegen, wie Frauen für vakante Positionen gewonnen werden können“, so Dehmel.
Zumindest gibt es in mehr Unternehmen klare Zuständigkeiten für die Themen Gleichstellung und Karriereplanung von Frauen und Männern. Gab 2022 noch die Hälfte der ITK-Unternehmen (50 Prozent) an, dass sich darum niemand kümmert, sind es aktuell nur noch 44 Prozent. Gleichzeitig rückt das Thema zunehmend in den Fokus der Führungsetage: Waren im Vorjahr erst in 22 Prozent der ITK-Unternehmen die Geschäftsführung/CEOs für das Thema verantwortlich, sind es 2023 bereits 32 Prozent.
Beim Recruiting liegt der Fokus auf Schulen und Hochschulen
Auf der Suche nach neuen Fachkräften bemüht sich ein Großteil der Digitalbranche bereits gezielt um Frauen: 9 von 10 ITK-Unternehmen (92 Prozent) setzen auf speziell auf Frauen ausgerichtete Recruiting-Maßnahmen, um diese auf ihr Unternehmen aufmerksam zu machen und für sich zu gewinnen. Am weitesten verbreitet sind Kooperationen mit Hochschulen und Schulen. 61 Prozent der ITK-Unternehmen geben an, bereits zu kooperieren oder dies zu planen. Dehmel: „Die ITK-Branche hat erkannt, dass sie sich möglichst früh aktiv bemühen muss, bei jungen Frauen und Mädchen Interesse an digitalen Themen zu wecken. Schnuppertage wie der Girls‘ Day, aber auch längere Hochschulpraktika und Kooperationen mit Bildungseinrichtungen sind dabei ein wichtiger Baustein, um authentische Einblicke in die digitale Arbeitswelt zu geben und mit veralteten Rollenbildern aufzuräumen.“
Verbreitete Recruiting-Maßnahmen sind zudem der Einsatz weiblicher Rollenbilder in der Kommunikation (45 Prozent), auf Frauen ausgerichtete Stellenausschreibungen (39 Prozent) und Werbe- und Social-Media Kampagnen (35 Prozent) sowie ein aktives Recruiting, etwa über den Aufbau von Talentpools (28 Prozent). Spezielle Einstiegsprogramme für Frauen und Auftritte auf frauenspezifischen Karrieremessen und -events nutzt oder plant jeweils jedes vierte Unternehmen (24 Prozent).
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Weiterbildung soll Frauenkarrieren fördern
Aber auch Frauen, die bereits in ITK-Unternehmen arbeiten, werden verstärkt gefördert. Dabei wird der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein besonderer Stellenwert beigemessen: 9 von 10 Unternehmen (90 Prozent) ermöglichen oder planen mobiles Arbeiten, um Frauenkarrieren im Unternehmen zu fördern (2022: 75 Prozent), 6 von 10 Unternehmen (59 Prozent) setzen generell auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel flexible Arbeitsmodelle (2022: 45 Prozent). Führung in Teilzeit bieten inzwischen bereits 28 Prozent an oder planen dies zu tun (2022: 16 Prozent). Darüber hinaus planen oder nutzen 60 Prozent der ITK-Unternehmen Weiterbildungsangebote, um Frauen zu fördern (2022: 55 Prozent) und 43 Prozent Mentoringprogramme (2022: 37 Prozent). „In der Digitalbranche wächst das Bewusstsein für den enormen Stellenwert der Frauenförderung. Die steigende Zahl ergriffener Maßnahmen zeigt, wir sind auf dem Weg, auch wenn wir das Tempo deutlich steigern müssen“, sagt Dehmel.
Große und kleine Unternehmen stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen
Die größte Hürde für die Erhöhung des Frauenanteils sehen ITK-Unternehmen bei der Rekrutierung weiblicher Fachkräfte: Über die Hälfte der Branche (53 Prozent) gibt an, nicht genügend qualifizierte Bewerberinnen zu finden. 42 Prozent sehen Hürden beim Quereinstieg, 41 Prozent beim Wiedereinstieg. 39 Prozent sehen sich durch fehlende Frauennetzwerke und 37 Prozent durch eine schlechtere Selbstvermarktung von Frauen herausgefordert. Traditionelle Rollenbilder und eine mangelnde Betreuungsinfrastruktur sieht jeweils jedes dritte Unternehmen (34 Prozent) als Hürde.
Kleinen ITK-Unternehmen fällt es dabei besonders schwer, genügend qualifizierte Bewerberinnen zu finden: Während 57 Prozent unter ihnen dies als Hürde für das eigenen Unternehmen sehen, sind es in Großunternehmen nur 24 Prozent. Auch Hürden beim Wiedereinstieg sind für kleine Unternehmen besonders relevant (48 Prozent), während nur 14 Prozent der großen Unternehmen diese Hürden im eigenen Unternehmen wahrnehmen. Eine mangelnde Betreuungsinfrastruktur beklagen 8 Prozent der großen Unternehmen, aber 36 Prozent der kleinen Unternehmen. Große Unternehmen sehen hingegen stärker eine schlechtere Selbstvermarktung von Frauen (57 Prozent) als kleine Unternehmen (36 Prozent).
Politik und Unternehmen sind gleichermaßen gefordert
Nach Ansicht des Bitkom ist neben den Unternehmen auch die Politik gefordert, um mehr Frauen für die Digitalbranche zu gewinnen. Zusätzlich zu unternehmensinternen Maßnahmen wie Zielsetzungen, personellen Zuständigkeiten sowie Qualifizierungs- und Unterstützungsangeboten für Frauen, braucht es von der Politik insbesondere mehr Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur und eine Bildungspolitik, die digitale Themen gleichberechtigt mitdenkt. Dazu zählen zum Beispiel attraktivere Ausbildungs- und Studiencurricula sowie ein verpflichtender Informatikunterricht. „Die Unternehmen sind mit ganz unterschiedlichen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet. Gleichzeitig werden bereits in Schule und Hochschule wichtige Grundsteine für die spätere Berufsorientierung gelegt. Die Herausforderungen, die ITK-Unternehmen auf dem Weg zu mehr Diversität zu meistern haben, sind also nicht nur individuell, sondern auch vielschichtig. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen“, so Dehmel.